Ornament und Buchkunst

Die Zeit als formspendendes Element

In weit stärkerem Maße noch als vom Werkzeug wird die Form des Ornaments von der Zeit beeinflußt. Jede Zeit hat ihre Mode, die sich allmählich zu einem Stil verdichtet. Sie entspringt einer Lebensauffassung und gibt sich nicht nur in der Kleidung, sondern auch in der Architektur, der Plastik, der Malerei, der Dichtung und der Musik zu erkennen. Da die gedruckten Ornamente zwischen Architektur und Malerei stehen, sind sie wie diese den Einflüssen der Zeit und des Zeitstils ausgesetzt.

Die Gotik (1150 bis etwa 1500)

Es ist die Epoche, in die die Erfindung der Druckkunst fällt, weshalb wir hier mit der stilistischen Betrachtung des Ornaments beginnen. Das gotische Ornament bezieht seine Form überwiegend aus der Architektur, weshalb seine Motive zunächst der Dreipaß, Vierpaß, Sechspaß und das Fischblasenmuster sind. Seltener, deshalb nicht unbedeutender, ist das Faltenornament, das sich an geknickte und geschlungene Bänder anlehnt. Am reichsten sind die Pflanzen vertreten. Vom Weinstock bis zu Ahorn und Eiche sind fast alle Blüten- und Blattformen zu finden: Efeu, Eisenhut, Farnkraut, Ginster, Hagebutte, Löwenmaul, Wacholder und Wasserlilie.

Die schlanken, aufwärtsstrebenden Linien der Frühgotik werden zur Spätgotik hin noch dünner und länger, die Blattmotive zeigen eine zunehmende Auflösung. Das Tiermotiv stammt noch aus der romanischen Kunst, verliert aber seinen symbolischen Inhalt allmählich. Die Bestien werden langsam zu Fabelwesen.

Die Renaissance (1500 bis etwa 1600)

Wie in allen Bereichen der Kunst greift auch die Ornamentik der Renaissance auf antike Vorbilder zurück, obwohl in Deutschland für einige Zeit noch die Gotik nachwirkt. Das Renaissance-Ornament betont die Symmetrie. Zu den Pflanzenmotiven tritt in Deutschland das Hopfen- und das Feigenblatt. Ebenfalls eine Neuerung ist eine Komposition aus Waffen und Musikinstrumenten, die als »Trophäe« in die Ornamentik eingeht. Die Tiere werden ihres natürlichen Aussehens beraubt und zu Greifen und anderen Fabelwesen umgestaltet.

Hauptzierat in der Frührenaissance (1520-1570) werden Groteske, Maureske und Knotenwerk. In der Hoch- und Spätrenaissance (1570-1620) werden Rollwerk und Beschlagwerk dominierend.

Die Groteske ist ein symmetrisches Ornament. Aus einer Vase oder einem Krug wachsen nach links und rechts Blätter und Fabelwesen.

Die Maureske zeigt keine gegenständlichen Motive. Da der Islam seinen Gläubigen verbietet, Menschen oder Tiere darzustellen, besteht sie aus einem abstrakten Linien- und Formenspiel. Die Maureske ist im fünften Jahrhundert von Byzanz nach Rom gewandert. In Deutschland ist sie bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts als Vorlage für textile Muster beliebt gewesen. Aus dieser Zeit stammen auch die Vorlagen- oder Modellbücher, die das deutsche Renaissance-Ornament stark beeinflußten.

Das Knotenwerk ist mit der Maureske insofern verwandt, als es wie diese aus dem Orient stammen soll. Linien und Bänder werden zu eigenartigen, meist geometrischen Figuren verschlungen. Das Knotenwerk ist ein reines Linienmotiv ohne irgendwelche Zutaten.

Das Rollwerk ist eigentlich ein Rahmenornament. Es erinnert an zusammengerollte Riemen, an Schnecken oder an die Voluten ionischer Säulen. Die Kartusche ist die verkleinerte Form solcher Rahmen.

Das Beschlagwerk nimmt den schmiedeeisernen Beschlag zum Vorbild. Während das Rollwerk plastisch wirkt, geht das Beschlagwerk in die Fläche. Dabei versäumt es nicht, durch die illusionistische Darstellung von Nägeln und Nieten den Beschlag glaubhaft zu machen.

Der Barock (1600 bis etwa 1730)

Der Begriff stammt aus dem Italienischen und steht für etwas Zopfiges, Übertriebenes. Der Barock löst in der Ornamentik die Symmetrie auf, Bewegung erfaßt das Motiv, Ecken werden vermieden. Neu als Formelemente kommen Muschel und Putto hinzu. Aus dem Roll- und Beschlagwerk wird der Knorpel- oder Ohrmuschelstil, der ab 1620 ca. 50 Jahre lang die Szene beherrscht. Dann gewinnt das Akanthusmotiv wieder an Bedeutung.

Der Hoch- und Spätbarock von etwa 1680-1715 steigert die Formenfreude zu einem Formenrausch, Er duldet kaum eine gerade Linie und versetzt jede Rundung in einen Schwung. Seine Freude am Schnörkel geht so weit, daß er auch Buchstaben einbezieht, indem er aus dem Monogramm ein Ornament macht und den Symbolgehalt der Schrift im Dekor untergehen läßt.

Das Rokoko (1720 bis etwa 1780)

Der Name ist von französisch »rocaille« abgeleitet und bedeutet Muschelwerk. Tatsächlich ist die Muschel das Grundmotiv des Rokoko, wobei die symmetrische Muschelform ins Asymmetrische gebogen wird und die Form eines »C« annimmt. Ähnlich ergeht es der Volute. Zu Trophäenmotiven gesellen sich Musikinstrumente, Röslein und Bänder. Die Ornamentik wird leicht und flammenförmig, ist in Auflösung begriffen. War das Ornament bislang eine Zugabe, so macht es das Rokoko zum Hauptgegenstand. Das geht soweit, daß die Form der Gegenstände nach den Bedürfnissen des Dekors ausgerichtet wird. Gegen Ende des Rokoko kommen asiatische Muster auf, die als Schmuck im wesentlichen den Möbeln, Textilien und dem Porzellan vorbehalten bleiben.

Der Klassizismus (1770 bis etwa 1830)

Immer wieder begegnen wir in der Kunstgeschichte einer Art Rückbesinnung. Wo der vorhergehende Stil extrem ausgelebt wurde, verfällt der nachfolgende ins formalistische Gegenteil. Die vertikale Übersteigerung der Gotik wird durch die Horizontale der Renaissance gebrochen. Dem Formüberschwang des Rokoko folgt die Ernüchterung des Klassizismus. Häufig greift man dabei auf einen vergangenen Stil und dessen Formelemente zurück, wobei mitunter mehrere Epochen übersprungen werden. So hat sich die Renaissance auf die römische Antike besonnen, der Barock hat Elemente aufgegriffen, die schon in der Gotik angedeutet waren, und der Klassizismus erinnert sich wieder der Antike. Klassische Ornamente wie der Mäander und der Laufende Hund kommen zu neuen Ehren. Die Kartuschen werden oval, Urnen und Girlanden zum Hauptmotiv der klassizistischen Ornamentik.

Das Empire ist eine klassizistische Abwandlung und würde besser als napoleonischer Stil bezeichnet. Es schmückt sich mit Lorbeer, Lotosblumen, Sphinxen und Pyramiden, alles Zierwerk, das an den Feldzug Napoleons in Ägypten erinnert.

Auch die Romantik und das Biedermeier können als eine klassizistische Abart verstanden werden, die bürgerliche Behaglichkeit verbreiten soll.

Ebenso dürfen wir den Neoklassizismus oder Hellenismus der klassizistischen Ornamentik zuordnen, da sie als eigene Gattung für den Dekor zu dürftig ausfallen.

Der Historismus (1850 bis etwa 1900)

Man spricht häufig auch von den »Gründerjahren«, wenn man die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts meint. Es ist eine Epoche, in der man bei der künstlerischen Gestaltung, speziell im Kunstgewerbe und in der Architektur, auf Ornamentmuster und Stilvorbilder früherer Zeiten zurückgriff. Man sah den Dekor, den man seit Anfang unseres Jahrhunderts zunehmend verleugnet, als selbstverständlich und notwendig an, griff aber mangels eines eigenen Stils auf gotische und barocke, später auf Renaissance-Ornamente zurück, die teilweise auch in eklektizistischer Absicht miteinander vermischt wurden. Eine eigenständige Ornamentik entwickelte erst wieder der Jugendstil.

Der Jugendstil (1895 bis etwa 1910/1914)

Zunächst war der Jugendstil eine Gegenbewegung zur Mechanisierung und Industrialisierung des Kunsthandwerks. Der Technik sollte das Handwerkliche entgegengesetzt werden, man verfolgte, von England ausgehend, neue ästhetische Grundsätze für das Kunsthandwerk. Grundlage für die Ornamentik des Jugendstils sind einerseits fernöstliche, andererseits aus der Volkskunst entnommene Pflanzen- und Tiermotive, die überwiegend auf dem Wasser angesiedelt sind:

Schwäne, Kraniche, Lotosblumen und Seerosen, aber auch die Mistel und die Mohnblume, um nur einige Beispiele zu nennen. Da den europäischen Entwerfern unter anderem der japanische Holzschnitt als Anregung diente, sind auch die Ornamente im Jugendstil flächig und asymmetrisch angelegt.

Die neuere Zeit

Die Jahrzehnte zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg waren von technisch-rationalem Denken geprägt, eine weitgehend schmucklose Formgebung setzte sich durch. Daneben gibt es aber im sogenannten Art deco (ca. 1920-1940) durchaus noch Ornamente, die allerdings sehr geometrisch wirken und von der zeitgenössischen Ästhetik beeinflußt sind. In jüngerer Zeit ist im Zusammenhang mit der Popbewegung der sechziger Jahre die Freude am Schmücken wieder erwacht. Man experimentierte mit Schrift, mit Liebes- und Friedenssymbolen. Auch der amerikanische Süden lieh uns im sogenannten New-Orleans-Stil seine Motive. Hier beginnen sich Ornament und Symbol sehr stark zu vermischen.

Das gesetzte Ornament

Das gesetzte Ornament ist zwar immer auch ein gedrucktes, aber das gedruckte Ornament ist nicht immer ein gesetztes. Wir nennen das gesetzte Ornament meist Schmuck, Zierat, Einfassung oder wie immer die Namen lauten. Das Satzornament war vor allem ein gegossenes Ornament. Das Metall bestand aus einer Legierung von Blei, Antimon und Zinn. Schmuck und Einfassungen wurden von den Gießereien an die Druckereien verkauft. Sie stehen auch heute, im Zeitalter des DTP, den Druckereien noch zur Verfügung. Allerdings nehmen sie keinen Platz in den Satzregalen mehr ein, sondern existieren als digitalisierte Befehlsstrukturen auf elektromagnetischen Datenspeichern.

Wenn man nach dem Werkzeug des gesetzten Ornaments fragt, wird das Gießinstrument genannt. Aber das Gießgerät war nur eines von mehreren Werkzeugen, das der Herstellung des Zierats diente. Dem Guß voraus ging die Schaffung der Matrize, die manuell, mechanisch oder galvanisch gefertigt sein konnte. Stichel, Feile und Punze hatten zumindest bis ins 19. Jahrhundert ihren Anteil an der Fertigung.

Noch wichtiger ist die Tatsache, daß von diesem Ornament nur die Bausteine geliefert wurden, die der Setzer erst zusammenfügen mußte. Je nach Begabung entstanden dabei mit den gleichen Elementen recht unterschiedliche Muster. Derlei gegossener Zierat wurde von den Gießereien häufig in verschiedenen Größen und Stärken angeboten. So konnte man ein Ornament unter Umständen in drei oder vier verschiedenen Abmessungen bekommen. Im Fotosatz ist die Größe heute stufenlos variabel.

Das Einzelornament wird auch als Vignette (französisch »Rebranke«) bezeichnet. Es konnte ein gegenständliches oder ungegenständliches Motiv beinhalten. Es war Buchschmuck und wurde an Kapitelenden angebracht. Später hat man für Familiendrucksachen und Speisekarten die berühmten Sektkelche, Kleeblätter, Eheringe und dergleichen eingeführt.

Das Einzelstück, hierher gehört auch das Aldus-Blatt, konnte zwar im Sinn einer Vignette versetzt werden, war aber mehr als Glied einer Reihe gedacht. Mehrere solcher Stücke aneinandergereiht, fügten sich immer zu einer Zierleiste. Das Motiv konnte gegenständlicher Art oder gegenstandslos sein, auch war es als geometrische, in sich geschlossene, wie auch als offene, fortlaufende Form zu bekommen.

Das Reihenornament, meist eine Zierleiste, ergab sich aus einer bestimmten Anzahl von Einzelstücken. Auch die Leiste wurde zunächst als Buchschmuck, vor allem als Kopfleiste bei neuen Kapiteln, verwendet. Später fand auch sie sich auf anderen Drucksachen wieder.

Was wir in diesem Buch unter dem Begriff »Leiste« oder »Zierleiste« abbilden, ist immer ein Reihenornament, das heißt, es ist ein Motiv, das aus mehreren Stücken besteht. Leisten, die im Kapitel Einzelstücke stehen, sind als ein ganzes Stück gezeichnet, gestochen oder geschnitten.

Das Sparstück bestand aus mehreren, zu einer kurzen Leiste zusammengegossenen Einzelstücken. Es entstand aus Gründen der Rationalisierung und erlaubte bei größeren Mengen ein schnelleres Arbeiten.

Das Rahmenornament ist nichts anderes als das Reihenornament. Bei nicht-geometrischen Schmuckmotiven war zum Satz eines Rahmens ein Eckstück notwendig. Das Eckstück wurde von den Gießereien bei ungeometrischen Formen mitgeliefert. Bei ihm war das Schmuckmotiv 90 Grad über Eck geführt. Zuweilen entlehnte der Setzer aber auch das Eckstück einem anderen Motiv, das stilistisch zum gesamten paßte.

Das Flächenornament wurde aus größeren Einzel- oder Sparstücken gebildet. Es diente zur Verzierung von Einbänden oder für das Vorsatzpapier, gelegentlich auch als Untergrund von Wertpapieren.

Der Federzug, ein dem Rokoko entstammender Schnörkel, der wiederum Vorbilder in der Renaissance hat, verträgt sich sonderbarerweise mehr mit klassizistischen Schriften, da diese im Duktus mit ihm übereinstimmen. Er tritt in Kupferstichen auf, wurde von der Lithografie aber neu entdeckt.

Die Englische Linie ist wie der Federzug aus dem Kupferstich hervorgegangen. Zweifellos hat diese sich nach beiden Seiten verjüngende Linie eine dekorative Funktion, die heute noch in Büchern genutzt wird.

Das integrierte Ornament

Bei ihm handelt es sich nicht um eine Illustration, allenfalls um eine Illustrationszutat, vor allem aber um einen Dekor, der zweckgebunden ist, sich in einigen Fällen mit Symbolen anfreundet, in jeder Hinsicht aber zu den Grenzfällen zählt.

Das Initial war als Buchstabe ein Symbol. Die Schreibmeister der Renaissance und des Barock verstanden es aber. Buchstabenform und Zierat so miteinander zu verknüpfen, daß daraus eine untrennbare Einheit wurde. Daneben gibt es natürlich auch das Initial, bei dem das Ornament mehr als Hintergrunddekor gedacht ist.

Die Leiste, ganz gleich, ob Kopf- oder Fußleiste oder gar Rahmen - integriertes Ornament ist sie nur dann, wenn es sich einerseits nicht um eine Illustration handelt, wenn andererseits aber der Buchschmuck nur einmal, eben zu jenem Werk verwendbar war.

Die Guilloche, das fein verschlungene Linienwerk auf Wertpapieren und Banknoten, das Dürers Knotenwerk nicht unähnlich ist, zählt zu den wichtigsten integrierten Ornamenten. Dieses Ornament begeistert immer wieder durch seine Farbigkeit, die ihm der Irisdruck verleiht, ein Druckverfahren, das verschiedene Farbtöne regenbogenartig ineinanderlaufen läßt.

Auch Aktien und andere Wertpapiere bedienen sich dieses Dekors, der in der Regel im Stahlstich hergestellt ist. Eine ähnliche Ornamentik findet sich auf Briefmarken, vor allem bei älteren Zahlenwerten.

Das elektronische Ornament. Bildschirmtext und Videotext arbeiten mit Symbolen, die wir auch als Piktogramme bezeichnen könnten. Das sind an sich keine Ornamente. Die Matrix aber, mit der sie erzeugt werden, das heißt der Übertragungsraster, der eindeutig einem Geweberaster entspricht, verleiht beiden Techniken stark dekorative Züge. Sie sind manchmal so stark, daß sie den Symbolgehalt des Zeichens überdecken.

Um etwas völlig Neues handelt es sich bei elektronischen Mustern und Hologrammen. Die mit dem Kathoden- oder Laserstrahl erzeugten Schwünge und Kurven, der Guilloche ähnlich, entstammen jüngerer Zeit. Die ARD wie auch das ZDF benützen solche Schwünge als Sendezeichen, das Werbefernsehen verwendet sie heute als Trennungspunkte zwischen den Spots. Das Hologramm als Werkzeug einer neuen Ornamentik ist noch nicht ganz erforscht. Zumindest liegen diesbezüglich noch keine Ergebnisse vor. Mit Sicherheit aber wird es einmal die Ornamentgeschichte des 20. Jahrhunderts anführen.

aus: Philipp Luidl / Helmut Huber: Ornamente. Novum Press. Bruckmann, München 1983


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